Ich wandere durch den Wald. Und höre: Stille. Das macht mich glücklich, denn ich bin alltäglich mit reichlich Geräusch-Müll umgeben. Autos, Handys, Geschwätz, Klospülung. Logisch, dass man da Sehnsucht nach Stille hat, wenn man wandert. Aber gibt es eine wirkliche Stille beim Wandern? Gibt es überhaupt die perfekte Stille?
Um das herauszufinden, kann man eine kleine Übung machen: Begebt Euch an eine möglichst ruhige Stelle. Dann schließt bitte – natürlich erst nachdem ihr diesen Satz gelesen habt – Eure Augen und hört mal genau hin, was ihr in den nächsten sechzig Sekunden hört.
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Und? Wahrscheinlich habt ihr eine ganze Menge erlauscht, denn selbst in einem schalldichten Raum hört man seine Atemzüge. Daher ist klar: komplette Stille gibt es nicht. Man sagt ja, in der Wüste sei es sehr sehr still. Ich habe das ausprobiert, es stimmt nicht. 2008 bin ich in der Wüste gewandert. Und es war total unstill: Da fuhren Autos, der Wind wehte den Müll durch die Luft, die Schritte knirschten sehr laut im Sand. Wüstenstille gibt es nicht.
Aber warum es soll dann im Wald still sein? Da hört man die Vögel, das Bächlein, die knackenden Zweige unter den Schuhen, das Röhren des Hirschs (selten), das Rauschen der Baumwipfel im Wind. Das ist doch nicht Stille, oder vielleicht doch? Naturgeräusche sind die kleinen Geschwister der Stille. Zivilisationsgeräusche sind Unstille. Man sollte daher, finde ich, bei der Bewertung von Premiumwegen und Qualitätswegen auch die Audio-Qualitäten eines Weges berücksichtigen. Es gibt Negativ-Beispiele – ich möchte keine Wegenamen nennen – da wandert man auf hervorragenden Wegen, aber nebendran im Tal braust der Autobahnlärm. Das – geht – gar – nicht!
Die richtige Wander-Natur-Stille um uns herum erlaubt es uns, den Kopf mit Gedanken zu füllen, ich schrieb darüber in einem früheren Andrack-Bär-Blog. Auch die Stille beim Gemeinsam-Wandern ist es etwas Wunderschönes. Die Gespräche, die man während einer Wanderung führt, sind meistens toll. Aber die Gesprächspausen sind es erst recht. Man stelle sich mal vor, man würde mit seinem Kumpel, seiner Frau, seinen Kindern eine Viertelstunde am Wirtshaus-Tisch sitzen und sich anschweigen – da würde jeder sagen, uiuiui, da stimmt aber was nicht. Beim Wandern zu zweit, zu dritt, zu viert ist das Schweigen wunderschön, die Stille wirkt auf die Seele.
Der schweizerische Wander-Philosoph Robert Walser schrieb über seinen Spaziergang: „Von Zeit zu Zeit drang von außen her einiger schwache Lärm in die liebliche Abgeschiedenheit und reizende Dunkelheit hinein, dessen ferner Schall die herrschende Geräuschlosigkeit nur noch erhöhte, die ich recht nach Herzenslust einatmete und deren Wirkung ich förmlich trank und schlürfte.“ Genialer Typ, der Robert, das hätte ich nicht besser formulieren können. Jetzt aber genug gebloggt und gelabert. Ich brauche Ruhe und geh jetzt raus, eine schöne Portion Stille tanken.
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17 Comments
Oh, dazu fällt mir auch ein schönes Zitat ein:
„Das große Schweigen der beseligten Natur erfüllte den Garten. Ein himmlisches Schweigen, das mit tausend Musiken vereinbar ist, dem Girren in Nestern, dem Summen von Schwärmen, dem Fächeln des Windes.“ Victor Hugo 1862 in Les misérables über die Atmosphäre im Pariser Jardin du Luxembourg. Der Futurist Luigi Russolo hingegen: „.. unterscheiden wir genussvoll die Wasser-, Luft- und Gaswirbel in den Metallrohren, das Pochen der Ventile, .. das Kreischen der Motorsägen, das Rattern der Straßenbahn, .. Wir finden Gefallen an der idealen Orchestrierung des Getöses von Rollläden, .. des Stimmengewirrs und Trampelns der Menge, der .. Geräusche von Bahnhöfen, Eisenhütten, Webereien, Druckereien, Elektrizitätswerken und Untergrundbahnen.“ Naja. Jeder hat halt dann doch so seine eigenen Bedürfnisse..
So ein wenig wie der Unterschied zwischen dem wohltemperrierten Klavier und Zwölftonmusik. Ich bin eher Fan des ersteren.
…wenngleich Schönberg, Berg, Webern etc. mit den technik- und kriegsverherrlichenden Futuristen eher wenig am Hut hatten und sich Vorlieben für ältere und neuere Musik natürlich nicht ausschließen müssen…
Ist ein interessantes Phänomen: eine mittlerweile über 100 Jahre alte Musik wird wohl auf ewig auch von sehr vielen ganz grundsätzlich Kunst- und Kulturinteressierten als „zu modern“ abgelehnt sein. Auch von jenen, für die z.B. der Zugang zu abstrakter Malerei kein Problem ist (obwohl man auf deren Bildern ja auch ’nix drauf erkennen kann‘ :))
So ein wenig wie der Unterschied zwischen Punk und Free Jazz. Ich bin eher Fan von Lagerfeuerromantik? „Which is more musical, a truck passing by a factory or a truck passing by a music school?
Are the people inside the school musical and the ones outside unmusical?
What if the ones inside can’t hear very well, would that change my question?“ (John Cage) – auweia, das Mysterium Musik… faszinierend…! Beim Wandern hab ich nur 2x Musik gehört, das war schön, aber stört mich letztlich. Wasser-Plätschern und Autobahn-Rauschen sind da einfach adäquatere Geräusche.
Zu Zwölftonmusik gibt es nur einen möglichen Beitrag: Bodo Wartke.
https://www.youtube.com/watch?v=mIeptek_Ab8
„Einzig möglicher Beitrag“? „Klingt einfach nur scheiße“ (so Wartke)?
Naja. Sehen viele so. Und andere eben anders. Und beide haben sie ihre jeweiligen Gründe..
Dissonante Klänge schmeicheln dem Ohr nicht so, sie sind gleichsam eine Wanderung durch Industriegebiete und entlang von Ausfallstraßen, wo kein mäanderndes Bächlein die Illusion von unberührter Natur erzeugt. Oder so ähnlich… es ist kompliziert (zumal die einschlägigen Komponisten ihre Sommerfrische durchaus nicht in Industriegebieten verbracht haben).
Nicht im Sinne des Inhalts der einzig mögliche Beitrag, sondern als spontane Reaktion.
Es gibt ja öfter so Sachen, die man (ich?) einfach sagen muss. Hat beispielsweise jemand eine Nudel im Bart, ist „Fräulein Hildegard, Sie sagen ja gar nichts!“ angebracht. „Herr Müller-Lüdenscheid!“ ist auch in vielen Streitsituationen ein zwingender Einwurf 🙂
Und was die Zwölftonmusik angeht: Dodekakaophonie ist schon nicht ganz unzutreffend…
…jedenfalls Ihrer Meinung nach. Ansonsten ist dieses Wortspiel scho a weng arch infantil, oder nicht? Und vor allem schlägt es – meiner Meinung nach – von vorn herein plump jede Denkmöglichkeit kaputt, dass auch die Anwendung dieser Kompositionstechnik (mehr ist die Dodekaphonie als solche zunächst mal ja nicht) durchaus zu reichhaltigen substanziellen Kunstwerken geführt haben könnte, welche die Kunst und Kultur im Allgemeinen sowie das Leben und Wahrnehmen von Menschen im Besonderen tatsächlich nach wie vor bereichern kann. ‚Gefällt mir auf Anhieb ganz und gar nicht‘ heißt eben noch lange nicht ‚taugt grundsätzlich nix, ist Müll‘. Oder um es gleich mit Goethe zu sagen: „Sie sagen, ‚es mutet mir nicht an‘, und meinen, sie hätten’s abgetan.“
Übrigens: die herrlichen Naturklänge der singenden Vögel z.B. sind im Grunde alle atonal. Jede Wette, dass sich aus dem ein oder anderen längeren Amsel-Trällern ab und an auch die ein oder andere dodekaphonische Reihe extrahieren ließe 🙂
Lieber Stoaner, take it easy! Mein Fundus an spontan-Reaktionen speist sich aus Polt, Tarantino und XXUwe? Lustig, wie die Verengung des Antwort-Strangs im Blog konkrete Poesie erzeugt!
Na, da hab ich wohl einen Nerv getroffen…? Durchatmen, ist doch nur Spaß!
Und zur Einordnung: Wenn ich sage, dass ich persönlich Zwölftonmusik schlimm finde, dann kommt das nicht daher, dass mir ein KABARETTIST (!) dies in humoristischer Art eingeflüstert hat (und so ganz unbedarft ist Herr Wartke ja nun auch nicht…), sondern daher, dass ich mich als ehemaliger Schüler eines musischen Gymnasiums im Rahmen des Hauptfachs Musik ein halbes Jahr lang ausschließlich mit Schönberg, Dodeka(ko)phonie und Co. beschäftigen durfte.
Wenn ich also sage, dass mir das nicht gefällt, dann ist das durchaus auf leidvolle Erfahrung zurückzuführen, soll aber natürlich niemanden davon abbringen, das interessant zu finden. Und natürlich soll es auch nicht den kulturellen Beitrag schmälern.
Ich reagiere halt immer dann besonders empfindlich, wenn wo behauptet wird, ‚das IST so‘, wo es sich doch nur um persönliche Meinungen handelt.
Ein simples Schultrauma also.. ja, das kann passieren 🙂
Hintermstoaner freut sich jedenfalls sehr darauf, bald täglich an der Arnold Schönberg – Gedenkplakette am Gasthof Hoisn vorbei wandern zu können 🙂 Und auf den schönen Berg Schönberg dort könnte ich eigentlich auch mal wieder rauf 🙂
Sein zu Unrecht fast vergessener Schüler Katz hat dort ein herrlich dissonantes Opus geschaffen. Der Stoßseufzer seines Lehrers beim ersten Hören ist in Komponisten-Kreisen legendär: „glei hau mas“!
Nach all den zwölftönenden Kommentaren bin ich ganz Karussel im Kopf – und brauche dringend: WanderSTILLE!!!
Es gilt, den Raum zwischen den Tönen wahrzunehmen 🙂
Und nach dem zwölften Kommentar folgt ——————!