Wanderer, kommst Du nach Norwegen, musst auf den Preikestolen wandern. Dieser Fels ist wie kein anderer Fels auf der Welt, die Felskante stürzt steil 604 Meter hinab bis zur Wasseroberfläche des Lysefjord. Der Preikestolen, zu deutsch Predigtstuhl, ist allerdings kein Geheimtipp. Es gibt wahrscheinlich keinen Norweger, der nicht zu diesem Felsen an der Westküste Norwegens gewandert ist. Und man MUSS wandern. Genau 4.000 Meter hinauf zu dem großen Stein. Denn es fährt keine Seilbahn und keine Zahnradbahn zu diesem Felsen, der Anstieg ist sogar durchaus anspruchsvoll.
Da ergibt es sich zwangsläufig, dass man andere Wanderer überholt. Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt war auf den Beinen, um den Preikestolen zu erklimmen. Ich habe Menschen aus allen Herren Ländern gesehen, mit hochroten Köpfen – wegen der Anstrengung. Russen, Engländer, Holländer, Deutsche, Schweizer, Tschechen, Amerikaner, Asiaten. Und natürlich Norweger. Die Frage ist natürlich, warum ich relativ schnell auf dem sehr anspruchsvollem Weg unterwegs sein konnte. Ihr werdet es schon geahnt haben: Mein exzellentes Schuhwerk hat mir wahrhaft Flügel verliehen.
Denn der Weguntergrund war alles andere als einfach. Normale Waldwege und Bohlenwege gab es auch. Aber die meiste Zeit ging es über Felsbrocken, die man als eine Art Treppe nutzen konnte oder über gigantische, flache Felsplatten. Dazu ab und zu ein glasklarer Gebirgssee und immer wieder Aussichten zum Niederknien. Nicht umsonst haben auch die Beatles dereinst der norwegischen Flora mit „Norwegian Wood“ einen eigenen Song gewidmet. Die Ausschilderung des Weges hinauf zum Preikestolen ist mehr als perfekt.
Immer wieder gibt es Info-Tafeln, die anzeigen, wie weit man schon gekommen ist. Es gibt vier gößere Anstiege hinauf zum norwegischen Super-Felsen, wobei der dritte Anstieg, ein sehr steiles alpines Stück, schon ein regelrechter Scharfrichter ist. Als zusätzlichen Service hat man Hinweispfähle in den Boden gerammt, die auf 50 Meter genau anzeigen, was man schon geschafft hat, und wie weit man noch zu laufen hat.
Und ich muss sagen, dieser Markierungs-Service hat bei mir regelrechte Glücksgefühle ausgelöst. Hilfreich waren die Pfähle vor allem, als das Schlimmste überstanden war (der dritte Anstieg!): 1.050 Meter, 700 Meter, 450 Meter, 200 Meter. Das war ein tolles, ein erhebendes Gefühl, Wanderglück pur.
Dann also auf dem Fels-Giganten. Schnell wollte ich ein Ich-war-auf-dem-Preikestolen-Beweisfoto haben und drückte meine Kamera einer Amerikanerin in die Hand. Dabei habe ich der Fotografin ganz klare Anweisungen gegeben. „Do you have also the shoes in the sucher?“ Ja, hatte sie, sehr fein gemacht. Und dann? Wie vertreibt man sich denn die Zeit auf dem norwegischen Super-Felsen?
Man könnte ja ein Picknick an der Felskante machen, so wie es viele asiatische Familien praktiziert haben. Problem 1: ich hatte nichts zu essen dabei. Problem 2: Alleine Picknicken macht einsam. Problem 3: Ich wollte bloß weg vom Preikestolen. Warum? Weil ich Höhenangst habe, schreckliche Höhenangst. Und ich kann nicht verstehen, warum ein so reiches Land wie Norwegen es nicht schafft, ein stabiles Geländer an die Felskante zu bauen.
Das Problem ist nämlich, dass sich meine Höhenangst auch auf andere Menschen bezieht. Wenn ich also sehe, wie an der Felskante junge Menschen für ein lausiges Smartphone-Foto an der Felskante herum turnen, wird mir blümerant. Da könnte doch ein Windstoss kommen, und die runter fegen. Oder es gibt Blitzeis und sie stürzen ab. Oder da liegt ne Bananenschale rum, die eine asiatische Familie bei ihrem Picknick vergessen hat, und sie stürzen 604 Meter in die Tiefe…
So schnell ich konnte, trugen mich meine BÄR-Schuhe wieder zurück zum Ausgangspunkt. Und auf dem Wanderweg fühlte ich mich auch wieder sicher.
8 Comments
Markazero hat offenbar im Bärblog Kommentar-Verbot und wird nicht freigeschaltet? Macht nix, dann gibt er den gespeicherten Senf halt in seinem Wohnzimmer dazu. Ha! Erste Assoziation: Felsbrocken, Aussichten zum Niederknien, Amerikaner – Croagh Patrick, Irland (naja, unterhalten habe ich mich dort v.a. mit Landsleuten aus Bombärch). Zweite: Umgotteswillen, das ist doch gefährlich an der Kante, geht da weg, Lebensgefahr!!! Dass ich an Klettersteigen unterwegs war, sogar ohne -Set, Helm und Karabiner… Da wird’s mir noch im Nachhinein ganz blümerant (ein sehr schönes Wort übrigens). Und was passiert in der Regel, wenn man endlich wieder sicheres Terrain erreicht hat? Man knickt um. Jedenfalls in Konkurrenz-Produkten. Jedenfalls Markazero.
Dann trägt der Stoaner aber auch sein Mitbringsel aus dem Gästezimmer mit herüber:
Präziseste Meter- und Höhenmeterangaben, perfekte Markierung, äußerst anschauliche graphische Übersicht – und dann so eine grotesk grobe Gehzeitangabe?? „2 Stunden jeden Weg“.. also wirklich. Dabei könnte man da so schön differenzieren:
1h 35′ rauf, 1h 10′ runter (Normalwanderer)
1h 50′ rauf, 1h 00′ runter (Selten-Wanderer mit etwas Höhenangst)
1h 15′ rauf, 0h 25′ runter (Andrack)
2h 00′ rauf, 0h 00′ 28“ runter (Wingsuit-Basejumper in Neopren)
usw..
Wenn Dir übrigens noch mal nach nem 604 m hohen und aber völlig gefahrlosen Aussichtspunkt ist, hab‘ ich nen heißen Tipp: der Trautzberg im Saarland! Naja, kennste bestimmt eh längst.
Danke für die exakten Wegangaben. Aber das mit dem Trautzberg habe ich erst für einen Scherz gehalten. Dann habe ich das Ding gegoogelt, den gibt’s ja wirklich, ei der Trautz! Aber den Trautzberg kennt ja nun im Saarland wirklich keine Sau. hat aber die anscheinend die gleiche Höhe wie das Ding in Norwegen.
.. dabei führen sogar zwei offizielle Rundwanderwege an den Trautzberg: der „Achatweg Freisen“ und die „Freisener Kreuze“! Letzterer ist 21,6km lang mit 580hm drin, aber veranschlagt auf nun 3h45′.. huiuiui.. – jedenfalls: falls Du mal mit den Saarland-Traumschleifen durch bist, gibt es also noch Optionen.
Nach Norwegen muss ich auch noch zum Wandern. Wanderungen und Abenteuer in anderen Ländern sind auch meine große Leidenschaft…
Diese Klippe schaut einfach genial aus. Danke für die Bilder und Story.
Weitermachen…
VG
Michael
Jetzt kapier ich erst: der Wanderpapst auf dem Predigtstuhl, logisch! Die Bergpredigt dürfte jedoch kurz ausgefallen sein: „Hütet Euch, das Ende ist nah! .. also.. äh.. ich geh dann mal jetzt..“
„Wenn ich also sehe, wie an der Felskante junge Menschen für ein lausiges Smartphone-Foto an der Felskante herum turnen, wird mir blümerant.“ – Das geht mir ähnlich. Zumal Felsformationen auch mal abstürzen können, zuletzt das Azure Window auf Malta…
Die Kantenhocker sind auch nicht mein Ding. Aber das ist ja jedermanns eigene Entscheidung.
Trotzdem gut, dass man nicht überall ein so übersteigertes Sicherheitsbedürfnis wie in Deutschland hat. Man sollte es jedem selbst überlassen, seinen Verstand zu benutzen – oder eben nicht.
Mit Geländer wäre der Preikestolen halt nicht mehr DER Preikestolen.