2020 ist Beethoven-Jahr! Hat sich das schon herumgesprochen? Mein Lieblings-Zitat von Beethoven: „Für solche Schweine spiele ich nicht“. Er soll einmal ein Konzert vor musikalisch minderbemitteltem Publikum, das nur tuschelte und nicht zuhörte, mit diesen goldenen Worten abgebrochen haben. Nicht nur Männer sind Schweine, sondern auch unaufmerksame Menschen.
Wie stand es aber um die Wanderleidenschaft des großen Meisters? Für einen Mann, dessen Vorfahren Flamen waren und dessen Namen korrekt übersetzt „vom Rübenacker“ hieß, hat er doch eine außerordentliche Leidenschaft für die Natur entwickelt. In der Süddeutschen las ich: „Beethoven war ein großer Verehrer Rousseaus. Nach Rousseau ist die Natur ein Abbild der Seele und fordert, man müsse selber hinaus in die Natur, und in stundenlangen einsamen Spaziergängen – eine Leidenschaft Beethovens wie auch Rousseaus – die äußere und die eigene innere Welt erkunden.“ Interessant ist, dass selbst stundenlange Touren im 18. Und 19. Jahrhundert eher Spaziergänge waren. Wandern war für die Zeitgenossen eher eine längerfristige Angelegenheit – Wanderjahre eben.
Was empfand aber Rousseau auf seinem zweiten Spaziergang im Pariser Umland am Donnerstag, 24. 10.1776 (toll, das wir das Datum so genau wissen, in sechs Jahren ist 250-jähriges Jubiläum des zweiten Spaziergangs)? „Ich durchlief die Landschaft mit jenem Vergnügen, das mir reizende Landschaften immer bereiten.“ Der Mann hätte Zertifizierer für Premiumwege beim Deutschen Wanderinstitut werden können. Erlebnispunkte sind eigentlich auch nichts anderes als Vergnügungspunkte. Das Landschaftserlebnis als Entertainment fürs Gemüt.
Beim siebenten Spaziergang stellt Rousseau fest: „Bäume und Sträucher, Blumen und Gräser sind das Kleid und der Schmuck der Erde. Nichts ist so traurig wie der Anblick eines nackten, kahlen Feldes, das dem Auge nur Steine, Lehm und Sand zeigt.“ Der Mann hat ja so recht. Aber warum stellen Werbeagenturen von Outdoor-Ausrüstern immer ihre Models in Landschaften, die so karg sind wie eine Mondlandschaft. Bitte mehr Mut zu Bäumen, Sträuchern, Blumen und Gräse
Aber man merkt auch am Satz „Ich irrte ziellos durch Wälder und über Berge“, dass die Wegmarkierungen im vorrevolutionären Frankreich noch nicht unverlaufbar waren. Rousseaus Quintessenz seines siebten Spaziergangs: „Mehr und mehr gewann ich Geschmack an diesem Augentrost.“ Augentrost ist eindeutig mein Lieblingswort des Jahres. Nächste Woche mehr zu Beethoven, seine berühmten letzten Worte sowie den neu markierten Beethovenweg.
3 Comments
War das Wandern zu Rousseaus Zeiten nicht eher das „Überwinden von Strecke müssen“, im Zusammenhang mit Krieg, Flucht oder anderer Unbill, als das „sich ergehen und forschen“ zum Genuß?
Offenbar war der Beethovenweg damals, als ich da unterwegs war, miserabel oder gar nicht markiert. An klassische Hochkultur hab‘ ich da jedenfalls keine Sekunde denken müssen. Stattdessen an Stichworte wie „Teesieb“, „Nierenstein“ oder „Plopp“.. mannmannmann, da hast was angerichtet im ersten Wanderbuch, geht dieser Gedanke denn nie mehr weg, wenn ich mich mit Königswinter und dem Siebengebirge beschäftige..
Das Wandern war ja nicht nur des Müllers Lust. Auch Heidi wäre undenkbar ohne ihre “ Lehr- und Wanderjahre“. “ Jessicas Lehr- und Wanderjahre“ geht dagegen gar nicht. Goethe wanderte dauernd zu seinem jeweiligen Liebchen. Drei Stunden in der Früh und am Abend nach dem Scharmutzieren wieder drei Stunden zurück. Und dann setzte er sich hin und schrieb den “ Faust“. Beneidenswert.