Gaaanz langsam naht der Frühling, die Sonnenstrahlen wärmen wieder das Herz nach diesem eisigen, kalten Winter. Bald schon kommt die Zeit der Lese, die Trauben sind reif, der Winzer fährt hinaus in die Weinberge, um die Ernte einzufahren. Wie bitte, es ist erst März? Ach so. Ich dachte, wegen Klimawandel und so, günge das schneller in diesem Jahr. Na gut, dann erzähle ich eben ein wenig von meinem Lese-Abenteuer im Herbst 2019.
Hat sich nicht schon so mancher in seiner Midlife-Crisis gefragt, ob er dereinst wirklich den richtigen Beruf ergriff? Jeden Tag die gleiche Scheiße, die gleichen Kollegen, der gleiche geistig zurückgebliebene Chef. Die Wahrheit ist: ja, wir haben fast alle einen Fehler bei der Berufswahl gemacht – den Fehler, nicht Winzer zu werden. Ein Arbeitsplatz mit garantiert schönen Ausblicken ist schon mal die halbe Miete.
Allerdings hat es ein Winzer in Zeiten des Klimawandels nicht leicht. Ich durfte beim genialen und traditionsreichen Weingut „Heilig Grab“ in Boppard bei der Weinlese helfen. Traditiosnreich? Und wie! Warum liegt das Weingut direkt am Bahnhof? – Der Bahnhof wurde eben später erbaut. Aber wenn der Sommer zu heiß war, dann sehen die Trauben eher wie Rosinen aus, bei der Lese heißt das: Traube ernten, die trockenen Stellen mit dem dicken Daumen wegpiddeln, ab in die Plastikkiste.
Wir haben früh in der Steillage angefangen, das war echt harte Arbeit. In der Truppe zu arbeiten war sehr schön. Es wurde viel geredet. Was man so alles über die Bürger von Boppard erfahren konnte… Mein Lieblingsspruch eines Erntehelfers nach einem kurzen, aber heftigen Regenschauer: „Die Trauben kann man aber nicht mehr zu trockenem Wein verarbeiten.“
Das Beste am Weinlesen sind die Pausen. Zweites Frühstück und Mittagessen, Kaffee und Kuchen gibt es bei der Rückkehr im Weingut. Die Frage ist immer, ob die Biertischgarnitur unterhalb oder oberhalb des Wingerts aufgestellt wurde. Beim Mittagessen ging es nach oben. Die polnischen Frauen durften mit dem Schlitten hochfahren, ich musste die 70-prozentige Steigung hochstiefeln. Die letzten zwei Meter habe ich nicht geschafft, mit vereinten Kräften wurde ich hochgezogen.
Das Schönste an der Pause ist, wenn der Wein kommt. Eiserne Regel: Kein Wein ZUM Essen, sondern erst danach. Als Dessert. Als Absacker. Als Muntermacher für die nächsten Rebreihen.
Irgendwann hatte ich Rücken vom vielen Bücken, um an die Trauben zu kommen. Also erfand ich die Bopparder Sitzlese. Das ist bequem und effizient. Von wegen Sitzen ist für den Arsch. Eher eine Art entspannte Yoga-Übung mit sinnvollem Ertrag. Wenn ihr Wein kosten wollt, den ich vielleicht auch mitgelesen habe, müsst ihr Euch noch ein wenig gedulden, bis der 2019er fertig ist. Bestellungen an weine@heiliggrab.de
1 Comment
Der Bahnhof liegt am Weingut, der Weinhang aber offensichtlich nicht am Bahnhof. Nur wo genau ist der Hang? Tippe auf den Mittelteil des „Bopparder Hamm“, unterhalb des „Weinlagenweg“, Blick nach Südwest über die Rheinschleife, ganz hinten auf dem Foto der Bereich Mittelrheinklettersteig und links hinten die scharfe Kante der Gemeinde Filsen?