Das Hochgebirge: aufregend, spektakulär, atemraubend im wahrsten Sinne des Wortes. Das Mittelgebirge: aussichtsreich, angenehm, abwechslungsreich. Das Flachland: öde, fade, langweilig. Mit einer Wanderung im flachen Land (nicht umsonst spricht man ja auch von den „Mühen der Ebene“) verbindet man kein großartiges Erlebnis. Bezeichnend die Beschreibung des Wortkünstlers Arno Schmidt in seinem Jahrhundertroman „Das steinerne Herz“: „Die Sonne machte mir gleich eine flüssige Maske. Beim Umsehen wickelte ich mir die Landschaft ums Gesicht. Nur 3 Farben : unten grün ; oben blau ; der Braune Schlammstrich ; meines Weges“.
Nun ja, lieber Arno Schmidt, immerhin hat es nicht geregnet, dann hätte es nur zwei Farben gegeben, braun und grau. Ich frage mich aber, ob dieses negative Bild der flachen Landschaft der Realität entspricht. Es stimmt natürlich: wenn ich über einen schnurgeraden, schattenlosen Feldweg gehe, am Horizont keine strukturierenden Hügel oder Berge, ich kann in der Ferne schon sehen, wo ich übermorgen sein werde, das ist wirklich keine große Wanderfreude. Ich kann mich an eine Wanderung in der Nähe von Cottbus erinnern. Ich ging auf einem markierten Fernwanderweg, meistens an Feldern vorbei. Stundenlang habe ich keinen Wanderer gesehen, dafür viele Fahrradfahrer, sehr viele Radfahrer, denn der Wanderweg war gleichzeitig eine äußerst beliebte Radstrecke. Da kommt man natürlich ins Grübeln. Wäre es vielleicht schlauer gewesen, eine Radtour anstelle einer Wanderung zu machen?
Eine vergleichbare Wanderung habe ich auch mal im Münsterland erlitten, einer absoluten Fahrradregion. Ich komme in diesen Regionen ganz schnell an den Punkt, an dem ich das Gehen an sich in Frage stellt.
Und dann gibt es ja noch die Sache mit den Namen der Landschaften. Hochgebirge sind zumeist weltbekannt: Die Alpen, die Kordilleren, der Himalaya. Deutsche Mittelgebirge heißen Eifel, Harz und Rhön.
Aber flache Landschaften? Haben die überhaupt Namen? Wie heißt die Ebene südlich von Augsburg? Wie nennt sich die Gegend um Osnabrück? Okay, Osnabrücker Land (früher gab es eine schöne touristische Tafel am Osnabrücker Hauptbahnhof: „Osnabrück, Hauptstadt im Osnabrücker Land“, ich war immer schwer beeindruckt), aber wer findet es reizvoll, dort einmal zu wandern? Es gibt allerdings Ausnahmen, schillernde Flachlandgebiete, in denen man genial wandern kann. Im deutsch-niederländischen Grenzgebiet westlich von Mönchengladbach gibt es die Premiumwanderregion „Wasser.Wander.Welt.“ Die Interpunktion erinnert an Arno Schmidt.
Im Maas-Schwalm Nette-Gebiet wandert man auf deutscher und niederländischer Seite auf acht Premiumwegen, die Rundtouren haben zwischen zwei und fünf Höhenmetern. Und trotzdem funktioniert das abwechslungsreiche Wandererlebnis. Schmale Pfade, durch Auenwälder, über Felder, durch Mischwald, an Seen, Bächen, Kanälen entlang. Auch ambitionierte urbane Wege wie zum Beispiel der Frankfurter Grüngürtelweg beweisen, dass man auch ohne Höhenmeter lustvoll wandern kann. Es stimmt, man muss in der Ebene nach den schönen Wegen suchen, muss viel Spreu vom Weizen trennen, aber es geht auch im Flachland.
3 Comments
Ah, ‚Winter’pause vorbei! Sehr gut. Wer es reizvoll findet, bei Osnabrück zu wandern? Ich! Und Markazero! Vor Kalkriese z.B. kommt man über die „Schmittenhöhe“ (Gipfelkreuz mit Gipfelbuch!). Teutoburger Wald, Wiehengebirge, Tecklenburger Land.. Ansonsten hab ich durchaus nix gegen zwischendurch auch mal paar km geraden ebenen Forstweg ohne Horizontsicht. Der Reiz der Abwechslung ist da halt nur subtiler.. Aber stimmt schon: es hat seinen Grund, warum ich auf den zwei bisherigen Hamburg-Wanderungen dieses Jahr gezielt schon 630hm gesammelt habe (für die, die mich jetzt für verrückt halten: ja, das geht, sogar ohne Wegdoppelungen!).. Bzgl. „südlich von Augsburg“: heißt das nicht bald schon „Allgäu“ oder „Alpenvorland“? 🙂
Flachland-Wanderungen sind eine wunderbare Übung in Stoizismus. Zwei, drei Kilometer an einer schnurgeraden Bundesstraße entlang haben mich früher sehr unleidig gemacht, inzwischen nicht mehr, das Reizvolle ist halt nicht so offensichtlich. Oder mit den Worten des unvergessenen Wolfgang Neuss: „üben, üben, üben“! Eine 50km-Wanderung im Münster(flach)land hat mir so gut gefallen, dass ich sie sogar wiederholt habe.
„Das steinerne Herz“ ist großartig, es war das Erste, was ich von Schmidt gelesen habe, es folgte noch einiges. An „Zettels Traum“ habe ich mich allerdings nie ran getraut.
Zu Kalkriese: Der Wandergenuss ist natürlich noch viel größer, wenn man sich vorher über Busverbindungen zurück nach Osnabrück informiert hat…
Vielleicht ist ja das mögliche Genießen vieler langweiliger Geradeaus-km schlicht genetisch bedingt? Irgend so ein uraltes Wanderer-Gen kommt daher und freut sich über das effiziente Vorankommen in optimalem Rhythmus? „Nur stetig hinfortgeschritten! Das ferne Ziel, es naht und harrt geduldig Deiner!“ Darf halt dann kein entsprechendes Reiter-Gen oder so reingrätschen..