2005, im April. Im Februar des Jahres war mein Buch „Du musst wandern“ erschienen. Die Verkaufszahlen waren sehr zufriedenstellend, Leserpost erreichte mich. Die erste Zuschrift war eine Art Verriss. Denn mir wurde ganz einfach abgesprochen, Ahnung von meinem Sujet zu haben. Denn Wanderer – so die durchaus erboste Leserbriefschreiberin – richtige Wanderer, die wären mit Rucksackverpflegung unterwegs. Und ich würde ja ständig einkehren, daher wäre ich kein richtiger Wanderer.
Trotz dieser Fundamentalkritik bin ich, was die Einkehr angeht, störrisch geblieben. Ich kehre ein und alle „richtigen“ Wanderer sollen sich meinetwegen zum Picknick in den Wald setzen und ihre zuhause geschmierten Semmeln, Brötchen, Wecklas und Schrippen verzehren. Jeder so, wie es ihn glücklich macht. Aber was diesen Nicht-Einkehrern alles entgeht! Der erste Schluck vom kalten Bier, der bis in die Knie wirken muss. Die regionalen Spezialitäten wie Schäufele, Döppekuchen, Pfefferpotthast. Ein Almdudler. Ein aus lokalen Früchten gebrannter Schnaps. Rieslinge, Spätburgunder, Clevner und Lemberger aus den Lagen, die man gerade durchwandert hat. Aber esst ihr ruhig Eure Stullen, ihr „richtigen“ Wanderer.
Es soll Menschen geben, die nur wegen der Einkehr wandern. Denn es ist schon etwas merkwürdig, in einem Biergarten um 12:00 in der Frühlings-Sonne zu sitzen und zu dieser Zeit schon ein Hefeweizen zu trinken. Schon deutlich weniger merkwürdig ist es, wenn man schon zwölf, dreizehn Kilometer gewandert ist und den ersten Gipfel erfolgreich gestürmt hat. Dann „darf“ man durchaus schon mal das erste Belohnungsbier trinken.
Ein weiterer Vorteil der Einkehr besteht einfach darin, dass man an keime Ort seiner Wanderung so gut mit Land und Leuten in Kontakt kommt. Ein Wirt oder eine Wirtin ist oft – sonst hätten sie ihren Beruf verfehlt – zum Plaudern aufgelegt. Ich bin vor ein paar Jahren in den Bregenzer Alpen gewandert und kehrte nach einem knackigen Aufstieg in einer Berghütte ein. Zu früh zwar noch für ein Bier, aber nicht zu früh für ein Schwätzchen mit dem Hüttenwirt. Sofort werde ich geduzt, erfahre dass es sich beim Wirt um den Flori handelt, bin stolz, weil ich der erste Wanderer des Tages bin, der es bis zur Hütte geschafft hat und bekomme noch Tipps für meine weitere Wandertour. Das ist doch Weltklasse, das kann nur Einkehr! Noch nie bin ich in dieser Hütte gewesen, habe aber ein Gefühl der Heimat, als ich meine Waldmeisterschorle trinke. Wanderglück durch Einkehr.
Man sollte aber nicht total auf die Einkehr fixiert sein. Ich war dereinst bei einem Männerwandergeburtstag eingeladen, bei dem im Eifgenbachtal bei Köln alle zwei Kilometer eingekehrt wurde. Das ist dann eher eine Rein-Tour als eine Wandertour. Ich halte auch wenig von der Prioritätenliste vieler Wandervereine: „Berge von unten, Kirchen von außen, Kneipen von innen“. Nein, auch die Natur und die Kultur gehören zum kompletten Wandererlebnis, nicht nur die gastronomischen Highlights am Wegesrand.
Man sollte sich aber immer klar machen – vor allem wenn man auf Prädikatswegen unterwegs ist – dass die Investitionen für die Schönheit des Wanderwegs eine Art Wirtschaftsförderung ist. Mit der Einkehr unterstützt man die lokale Wirtschaft und die regionalen Wirtschaften. Daher mein Appell: Kehrt mehr ein!
3 Comments
Oh ja, als Wanderer kann man viel falsch machen und sich als solcher direkt selbst disqualifizieren:
„Zu kurz, nicht stetig genug, das war Spazierengehen!“
„Mehrtägig? Das heißt Trekking!“
„Mehrtägig nebst Quälerei und/oder spiritueller Beseeltheit? Du warst Pilgern, nicht Wandern!“
„Nicht selbst verpflegt? Das macht ein Wanderer nicht!“
„Mäßig angepasste Klamotten, dazu nicht sonderlich naturnah, außerdem weder Rettungsdecke noch Stirnlampe dabei? Also bitte!“
„Ganz ohne Rucksack unterwegs gewesen?? Mir fehlen die Worte!!“
Naja. Immerhin bei Punkt 1 wäre auch ich hier zumindest ein ganz klein wenig dogmatisch dann schon auch 🙂
Ist Wandern nicht zuvörderst „innere Einkehr“? Spaß beiseite, ich bin knallharter Vertreter des „jeder wie er mag“ – mag ich doch selbst je nach Wander-Situation Verschiedenes. Auf Speckknödel verzichten, nur weil noch eine Semmel oder Nektarine im Rucksack ist? Kommt nicht in Frage. Das wunderbare Wort „Jausenstation“ ignorieren? Niemals! Während einer langen Tour am Niederrhein einen nicht Kneipen-, sondern Supermarkt-Zwischenstopp machen? Warum nicht! Heute gab‘s unterwegs belegte Brötchen und nach gemütlichen drei Stunden durchs Rotthäuser Bachtal wieder die Bestätigung, dass der erste Schluck Bier nach so einer schönen Tour… aahh!!! Eine Bier-Wanderung in der fränkischen Schweiz hat wahrscheinlich ganz eigene Regeln…
Bier-Wanderung? Dabei fällt mir ein:
Ein dreifach Hoch auf den klassischen Biergarten und dessen klug angewandte Wander-Diplomatie! Da darf nämlich der Wanderer gleichzeitig einkehren und dennoch guten Gewissens seine sorgsam selbst geschmierte und geduldig herumgetragene Rucksackjause verzehren!
(die besagte Leserbriefwanderin kam gwies ned aus Bayern, schätze ich mal)