Ich werde oft gefragt, ob ich als Wanderer eher Solist bin oder Gruppen bevorzuge. Ich antworte dann meistens ausweichend, dass ja beides einen ganz besonderen Reiz habe. Auf meinen meisten Weinwanderungen bin ich jedenfalls alleine unterwegs, um mich auf Landschaft und Weinbau zu konzentrieren. Mitte Mai hatte mich Christian Hormuth, ehrenamtlicher Chef des örtlichen Tourismusvereins netterweise nach St. Martin eigeladen, einem Winzerort (25 Weingüter!) an der südlichen Weinstraße. Die Weinwandertruppe bestand aus 25 Teilnehmern aus verschiedenen deutschen Regionen: Saarland, Franken, Rheinhessen, Pfalz, lustigerweise alles Landstriche, in denen Wein angebaut wird. Start war an der Tourist Information und schon auf den ersten paar hundert Metern ging es ziemlich steil hinauf Richtung Weinberge. Kaum waren wir so richtig in Schwung gekommen, war auch schon die erste Wein-Station mit Ausblicken über die Rheinebene erreicht. St.Martin liegt genau an der Grenze zwischen dieser offenen Landschaft Richtung Rhein (der aber noch etliche Kilometer entfernt fließt) und den üppig bewaldeten Hängen der Pfälzer Walds. Richtung Norden kann man sogar Schloss Hambach erkennen.
An der ersten Station tranken wir einen frischen fruchtigen feinherben Riesling vom Winzer Winfried Seeber. Es ist ein Wein des Jahrhundertjahrgangs 2018 und dementsprechend ein richtiger Kracher! Das Weingut Winfried Seeber war 2017 das beste internationale Bio-Weingut und das beste Bio-Weingut Deutschlands.
Bioweinbau gilt ja als ziemlich arbeitsintensiv verglichen mit konventionellen Weinbau, ein Stichwort ist die Schädlingsbekämpfung. Aber wenn man sich trotz dieses Aufwands das Preis-Leistungs-Verhältnis anschaut, fällt man von Hocker, wäre ein Hocker vorhanden. Die Flasche kostet 5,20 Euro, vergleicht das mal mit den Preisen und vor allem der Qualität im Supermarktregal!
Christian Hormuth, Winzer im Nebenerwerb aus St.Martin, war unser Weinwanderführer und erklärt, wie der Chemie-Gigant BASF (das Werk in Ludwigshafen kann man noch gerade so am dunstigen Horizont erkennen) vor einigen Jahren eine geniale Idee hatte. Ein schlimmer Feind der Reben ist nämlich der Traubenwickler, einer Schmetterlingsart, die sich mangels Seh-Apparatur (sie haben eben keine Augen) nur über Gerüche orientiert. Und sein Weibchen findet der männliche Traubenwickler nur über den Duft, den das Weibchen verströmt. Exakt diesen Duft hat nun die BASF kopiert, in jeder fünften Rebreihe hängen die kleinen braunen Pheromon-Kapseln und der Traubenwickler kann sich nicht mehr vermehren, zum Wohle der Traube.
Ein anderes interessantes Detail von Weinwanderführer Christian: Die Pfalz ist nicht nur eines der größten Weinanbaugebiete Deutschlands, sondern auch der nationale Gemüsegarten. Christian erzählte, dass 80 Prozent aller deutschen Radieschen pfälzischer Herkunft sind. Ich hatte die Prozentzahl zunächst akustisch nicht verstanden (am Wein kann es nicht liegen, es ist ja die erste Station). Geduldig wiederholte Christian: „Acht-zig Pro-zent“ und fügte noch hinzu: „Für unsere saarländischen Freunde, das sind genau vier Fünftel!“ Respekt, dass ein Pfälzer einem Saarländer ein derart abstraktes mathematisches Denken zutraut.
Wir gingen weiter durch die Weinberge und erreichten schon bald auf einer Wingertsterasse (Wingert = Weingarten) unterhalb der Kropsburg die zweite Station. Eine wiederum eher kurze „Wander“-strecke, der Schwerpunkt liegt bei dieser Weinwanderung eindeutig auf dem Weingenuss. Wir trinken einen Sauvignon 2016, der im Barriquefass ausgebaut wurde. Der Winzer sagte: „Der Wein bekommt durch den Barrique sein Rückgrat.“ Wenn man sich also einen Wein als Körper vorstellt, verhilft das Barrique-Rückgrat nicht nur zu einem geraden Rücken, sondern garantiert auch ein langes Leben. Denn noch in sieben, acht Jahren kann man diesen Weißwein mit der starken Wirbelsäule problemlos verkosten.
Christian Hormuth hatte sich noch ein ganz besonderes Schmankerl für die zweite Wein-Station ausgedacht. Passend zur grandiosen Location intonierte er die pfälzische Nationalhymne: „Oh Pfälzer Land, wie schön bist Du“. Der Liedvortrag war so gefühlvoll, dass sogar alle Saarländer berührt waren.
Wir gingen weiter, am Eingangsportal der Kropsburg vorbei, in den Wald hinein. Am Wegesrand wird der Leidensgeschichte von Jesus Christus gedacht, wir befinden uns also nicht auf dem Holzweg, sondern auf einem Kreuzweg. Und diese Kreuzwege haben die Eigenschaft, jedem Wanderer seine individuelle Leidensgeschichte zu bescheren, denn sie sind immer ziemlich steil. Die Weinwandertruppe erreichte eine Freiluftkirche, die Lourdesgrotte von St.Martin. Man kann sich also die weite Pilgerreise nach Frankreich sparen, auch in der Pfalz werden Wunder wahr. Nächste Woche gehe ich weiter in der Pfalz …
3 Comments
Schon erstaunlich, wie oft man beim Wandern Kreuzwege geht, obwohl man das gar nicht als solches vor hatte: Gais-Mühlbach, zum Latzfonser Kreuz, nach Freienbühel, zwischen Bad Wildungen und Fritzlar, Kalvarienberg Füssen, Kalvarienberg Traunkirchen usw. usf.. Was will uns das bloß sagen? Innere Einkehr beim Wandern mach ich doch auch so! Und äußere erst recht!
Der Kreuzweg bei St. Ulrich im Grödnertal ist auch nicht ohne, und als Alternative zu Lourdes bietet sich auch das an, was Du bereits 2014 hier erwähnt hast: „(…) Weihwasser ‚vom Bründel der Lourdes Grotte‘ unweit des Dorfes Ruhsam in der Nähe des Traunsees“!
Das Fläschchen liegt heute noch in unserem kleinen Weinregal! Über dem weißen Casteller Glühwein. Statt frischem Weihwasser haben wir heuer aber lieber nebenan feinen Honig besorgt.