Der wandernde Held hat ein ziemlich buntes Gesicht, beide Arme fehlen. Achilles ist ein Held mit Blessuren. Der weltbekannte Künstler Markus Lüpertz hat eine Reihe von mythischen und musikalischen Helden auf den akkurat gestutzten Rasen des Klosters Eberbach gezaubert. Achilles, Hektor, Odysseus, Mozart, Salieri. Man schwankt zwischen Ehrfurcht und Mitleid mit den bunten Gesellen. Das imposante Ambiente des Klosters mit den herausragenden Kunstwerken gibt den Takt unserer Tagestour im Rheingau vor – eine Weinwanderung mit einem sehr exquisiten Ambiente.
In der Vinothek von Kloster Eberbach erfahren mein Wanderfreund Markus und ich, dass es sich nicht nur um das größte Weingut im Rheingau, sondern in ganz Deutschland handelt. Der Referenzwein des Weinguts ist der Riesling, dreiviertel der Anbaufläche ist dieser Rebsorte gewidmet. Folglich entscheiden wir uns nach einigen wohl überlegten Probeschlücken, einen halbtrockenen Kloster Eberbacher Riesling mitzunehmen.
Wieder an den Lüpertz’schen Figuren vorbei und dann müssen wir uns schon ein wenig umschauen, bis man hinter dem Kloster die erste Markierung mit dem weißen „R“ auf blauem Grund gesehen hat. Wir gehen bergan durch den Wald und erreichen schnell eine beeindruckende Mauer…
Tatsache ist, dass die Zisterzienser des Klosters so viel Angst um ihre wertvollen Rebstöcke hatten, dass sie den kompletten Steinberg einmauerten. Wahrscheinlich ist diese lange Mauer vergleichbar der chinesischen Mauer auch vom Weltall aus zu sehen. Auch der Rheinsteig macht einen großen Bogen um die eingemauerte Lage, wir gehen durch ausgedehnte Wälder Richtung Oestrich-Winkel. Mit jedem Kilometer Rheinsteig unter den Füßen steigt die Lust, den Riesling im Rucksack zu verkosten. Aber eine geeignete Bank, möglichst mit Blicken auf den Rhein und die Weinberge, fehlt.
Kurzentschlossen setzen wir uns auf einen Baumstamm, der als eine Art Ersatzbank im Wald herum liegt. Das Laugengebäck und der Kloster Eberbacher Riesling sowie die naturnahe Umgebung ergeben ein perfektes Ambiente für unser Picknick.
Weiter geht es über Wanderwege mit weiten Blicken ins Rheintal und unvermutet lernen wir Bruno kennen. Bruno ist ein Widder (oder einfach ein dickes Schaf mit sehr viel Wolle?), der die Grasflächen auf dem Weg an der Kühns-Mühle frei hält. Ich beschließe, Bruno zu einem gemeinsamen Fototermin zu überreden, wenn er schon so frei herum läuft, wird er doch hoffentlich nicht gefährlich sein…
Aber irgendwie scheint er mehr an grünem Gras als an einem Blick in die Kamera interessiert zu sein. Es bedarf schon einiger Überredungskunst, bis das tierische Foto im Kasten ist. Überraschend hat die Kühns-Mühle auch einen eigenen Wein zu bieten. In einem Kühlschrank am Wegrand kann man sich ein Glas Riesling abfüllen und auf den lebenden Rasenmäher Bruno prosten.
Gut zwanzig Minuten nach der Mühle mit dem zutraulichen Bruno sehen wir den markanten und trutzigen Turm von Schloss Vollrads, einem – wie mein Rheinsteig-Wanderführer schreibt – der bekanntesten Weinschlösser der Welt. Zumindest lassen die Autokennzeichen der vor dem Schloss parkenden Automobile auf eine gewisse Weltläufigkeit schließen. Und die Marken der Autos deuten auf ein eher üppiges Durchschnittseinkommen der Schloß-Besucher.
Das gesamte Schloß hat sich herausgeputzt, alte Gemäuer und grüner, gepflegter Rasen. Wanderfreund Markus hat Durst auf ein Bier. Aber Schloss Vollrads ist ein Weingut, das Restaurant also sozusagen ein Weinausschank, daher hat die Bedienung noch nie davon gehört, dass es so etwas wie Gerstensaft überhaupt gibt. Ich finde das gut und so trinken wir der Jahreszeit angemessen einen leichten Sommer-Riesling, dazu eine Flasche Wasser. Wanderfreund Markus muss zugeben, dass das mindestens genauso erfrischt wie eine Hopfenkaltschale. Mit dem Blick von der Terrasse des Schloß-Restaurants auf den Schloßpark fühlen wir uns (mindestens) so königlich wie die Herzöge von Windsor.
Wir wandern von Schloss Vollrads zum Schloss Johannisberg. Ehrlich gesagt dient der Rheinsteig in diesem Abschnitt des Rheingaus eher dazu, die sensationellen Einkehr-Highlights zu verbinden, der Weg selber ist nicht so spektakulär wie auf anderen Abschnitten. Daher sind wir gefühlt ruckizucki im Ort Johannisberg. Scharf links und schon wandeln wir auf einer Allee – vor uns liegt eine Art Klein-Versailles. Das sehr edle Weingut heißt mit vollem Titel: „Fürst von Metternich-Winneburg’sche Domäne Schloss Johannisberg“
Bei Fürst von Metternich klingelt es doppelt. Mein Historiker-Freund kräht: „Wiener Kongreß, der Kongreß tanzt“. Ich dachte eher an die sehr bekannte Sektmarke, auf der der Fürst von Metternich mit roter Schärpe zu sehen ist. Beides stimmt, wir sind also an (wein-)historischer Stelle mitten auf dem Johannisberg gelandet.
Wir trinken im Restaurant des Schloßes, das sich bescheiden als „Schänke“ bezeichnet, einen Schloss Johannisberger Rotlack. In der Speisekarte finden wir ein Bonmot des Dichters Heinrich Heine: „Wenn ich Berge versetzen könnte, der Johannisberg wäre just der Berg, den ich mir überall nachkommen ließe“ Da hat der alte Dichter einen sehr sehr hübschen Gedanke gehabt. Der Johannisberg als Weinberg-to-go. Wir beenden zwar mit dem Rotlack unsere Weinwanderung in Johannisberg für heute, aber wir werden den Berg in unserem Herzen überall hin mitnehmen.
2 Comments
Hab‘ ich gerade ein Déjà-vus oder gab es den Text bzw. Teile des Textes schon mal? Aber wo? Zumindest ist mir eingefallen, woher ich Bruno kenne (siehe 1:03-1:22 und 2:34-3:13):
https://www.youtube.com/watch?v=exjrbu6v7s4
Lederlabbm!!! „Wanderfreund Markus“ hat mich zunächst irritiert, sah Andrack vor meinem geistigen Auge mit dem Malerfürsten elegant einher schreiten. Gehrock, Stock mit silbernem Knauf, und an jeder Hand etwa zwölf Ringe (mindestens).