Andrack weinwandert in Sachsen (Blog)
Meißen ist eine der schönsten Städte Deutschlands. Im zweiten Weltkrieg von Fliegerangriffen verschont, hat sich die zauberhafte Altstadt erhalten: Um die Frauenkirche am Markt gruppieren sich hübsche Fachwerkhäuser und verwinkelte Gassen mit Kopfsteinpflastern. Über steile, verwunschene Treppen geht es hinauf zur Albrechtsburg und daneben zum Meißener Dom, der mit seinen Doppeltürmen die Altstadt krönend überragt.
Ich bin bestimmt schon dreißig Mal zu Besuch in Meißen gewesen, habe auch sehr oft den lokalen Wein genossen, bin aber kurioserweise nie auf die Idee gekommen, dem Ursprung dieser Weine auf den Grund zu gehen. Also gehe ich heute los, auf dem Sächsischen Weinwanderweg. Die Wegmarkierung mit der roten Traube finde ich am Elbeufer gegenüber der Altstadt. Die „Alte Spaargasse“ ist mein Entrée in das Spaargebirge südlich von Meißen mit seinen vielen kleinen Bergen und Weinlagen. Früher floss die Elbe auf der östlichen Seite dieses „Gebirges“, daher steht es so monolitisch in der Landschaft herum, ein Segen für den Weinbau – und natürlich alle Weinwanderer.
Hinter dem Weingut Ricco Hänsch wird es dann doch ein klein wenig gebirgig, ich wandere hinauf auf den Kapitelberg. Ich verlasse kurz den Sächsischen Weinwanderweg und folge dem grünen Schild zur Juchhöh. Die Juchhöh ist ein Aussichtspunkt mit phantastischem Blick über die terrassierten Weinberge bis nach Meißen. Zeit für ein Selfie, diese Augenweide kann ich mir nicht entgehen lassen.
Wieder zurück auf dem Weg mit der Traube passiere ich eine kleine Wanderhütte und einige Dorfstraßen. Dann verlasse ich eine Viertelstunde nach der Juchhöh ein weiteres Mal den Hauptweg und folge dem Schild „Kapitelholzsteig/Dresdner Straße 0,8 km“ Ich habe nämlich eine ganz besondere Verabredung. Ich wandere bergab, vorbei an einer Weinberg-Mauer am Boselberg.
Es scheint eine sächsische Spezialität zu sein, alle Weinberge einzumauern oder einzuzäunen. Auf einer Holztür in der Mauer steht: „Es bliebe der beste Becher leer, wenn die Arbeit des Winzers im Weinberg nicht wär“. Das kann ich nur bestätigen. Der sehr schöne, schmale Weg führt mich weiter bergab und ich stehe vor dem Weingut Vincenz Richter. Der gleichnamige Gründer hat das Weingut 1873 gegründet, er war Oberst der kaiserlichen Armee. Vom Oberst zum Winzer, das ist schön, das hat etwas von Schwertern, die zu Pflugscharen werden. Ich gehe noch einige Schritte weiter und treffe an einem alten Hofgut Hendrik Weber. Weber ist der Chef des „Perlguts“, er ist der einzige Winzer in Sachsen, der ausschließlich Sekt macht.
Hendrik Weber hat nach dem Abitur erst einmal eine Winzer-Lehre absolviert, dann in Geisenheim Önologie studiert, später einen alten Bauernhof zum Sektgut gemacht und aus einer alten Streuobstwiese einen Weinberg mit Spätburgunder-Trauben. Und am Weinberg darf ich mit ran. Denn heute ist Weinlese-Tag im Perlgut, da wird jede helfende Hand gebraucht. Weber bietet mir Handschuhe an, damit die Finger nicht klebrig werden. Handschuhe möchte ich nicht, das sieht doch aus als wäre ich im OP. Ich schnappe mir eine der scharfen Winzerscheren und lasse mir zeigen, wie das geht mit der Weinlese.
Immer schön in der Nähe des Zweigs abschneiden. Matschige Trauben kommen weg, die werden „verworfen“ und landen auf dem Boden. Dann kann es ja losgehen. Ich lege die abgeschnittenen Trauben vorsichtig in einen Eimer, den ich, als er voll ist, in eine Kiste ausleere. Wir haben Glück mit dem Wetter. Bei Regen wird nicht gelesen, die Trauben – und damit auch später der Wein – wären zu verwässert. Ich finde die Ernte-Tätigkeit ausgesprochen befriedigend. Die Arbeit an der frischen Luft, der Aufenthalt in dieser herrlichen Landschaft, nach einer Weile eine Rebstock-Reihe geschafft zu haben, das produziert Glücksgefühle ohne Ende. Kleiner Freizeit-Tipp: Es gibt viele Winzer, die sich über freiwillige Helfer zur Lese sehr freuen.
Als Belohnung für meine kleine Lese-Hilfe trinken wir einen 2014er des „Sächsischen Champagners“, das ist sein erster Jahrgang. Blanc de Noir, gemacht aus Spätburgunder-Trauben. Der Sekt ist zwiebelschalenfarben, leichte Rosé-Färbung, ganz fein ausbalancierte Säure, herrlich. Weber sagt: „Morgen werden die Trauben gepresst, die wir heute gelesen haben. Ich möchte mit jedem Jahrgang den eingefangenen Sonnenschein des jeweiligen Jahres in die Flasche bringen“. Und 2020 kann ich dann den 2017er Blanc de Noir von Perlgut trinken und erwische vielleicht ein Schlückchen von eine der Trauben, die ich gelesen habe. Im Weingut gibt es leider keinen Flaschenverkauf, den Perlgut-Sekt gibt es aber in ausgewählten Vinotheken der Region oder er ist über die Seite www.perlgut.de zu beziehen. Ich verabschiede mich ganz herzlich bei Hendrik Weber für den Sekt und die Möglichkeit, erstmals im Weinberg gearbeitet zu haben. Ich gehe einen steilen Weg im Wald bergan und mache eine Zeitreise in die Vergangenheit des Weinbaus am Kapitelberg.
Am Hang sind zahlreiche Trockenmauer-Terrassen zu erkennen. Zwischen den kunstvoll aufgeschichteten Steinen wachsen hundert Jahre alte Bäume. Diese Weinberge wurden in den 1880er Jahren wegen Reblaus-Befall aufgegeben. Als Wanderer durch diese ehemaligen Weinberge fühle ich mich wie Indiana Jones auf der Suche nach dem verlorenen Weinbergschätzen.
Schließlich habe ich auf der Anhöhe den Sächsischen Weinwanderweg wieder erreicht. Vorbei an dem sehr schönen Boselbiergarten (mit Bierbänken unter Kastanien) und dem botanischen Boselgarten gehe ich zur Boselaussicht. Dort hat man einen grandiosen Blick auf das Elbetal und kann bei guter Sicht bis zu den Türmen der Dresdener Altstadt blicken. Aber so weit möchte ich heute nicht mehr gehen, mein nächstes Ziel ist das Weindorf Sörnewitz unterhalb der Boselaussicht. Auf steilen Wegen geht es bergab, ich habe die Spaargebirgeüberquerung nach sechs Kilometern gemeistert. Das muss gefeiert werden.
Im Sörnewitzer Weingut Schuh treffe ich Katharina Pollmer, geborene Schuh. Gemeinsam mit ihrem Bruder Matthias Schuh (Europas bester Jungwinzer 2012) führt sie das Weingut. Ihre Eltern kommen von der Mosel und haben an der Elbe ihr Glück gefunden.
Eine der beliebtesten Weine ist der rosa Schuh, der ist aber „alle“, ausgetrunken. Der rosa Schuh ist mit einer schönen sächsischen Wein-Spezialität verbunden, dem Schieler aus weißen und roten Trauben. Der Name „Schieler“ bezieht sich nicht auf Leute, die was an den Augen haben, sondern auf die ehemaligen Schüler („Schieler“, wie die Sachsen sagen) der Fürstenschule St.Afra in Meißen.
Ich könnte nun von Sörnewitz weiter der roten Traube des Sächsischen Weinwanderwegs bis zum Bahnhof von Weinböhla folgen. Unter uns, sehr attraktiv ist dieser Streckenabschnitt nicht. Von einer regelrechten Durstrecke kann man allerdings nicht sprechen, da wir gegen den Durst ja im Weingut Schuh etwas unternommen haben. Alternativ kann man mit dem Bus von Sörnewitz nach Coswig oder noch besser zurück nach Meißen fahren, denn diese Stadt ist ein absolutes Genuss-Muss. Und die Porzellan-Manufaktur haben wir uns auch noch nicht angeschaut …
Ich danke dem Dresdener Journalisten Lars Müller für seine wertvollen Inspirationen, drei Fotos und die Vermittlung meiner ersten Weinlese-Erfahrungen.
3 Comments
Atmosphärisch scheint es immer sehr speziell reizvoll zu sein, durch ehemalige Weinberge zu wandern. Weiß ich zumindest von einem Abschnitt auf der Bopparder Traumschleife Marienberg. Zwecks der Vergänglichkeit des Seins und dem Kreislauf des Lebens könnte man ergänzend zum Themenkomplex Weinwandern eine Extra-Broschüre herausbringen: „die eindrücklichsten Wanderungen durch aufgelassene/verwilderte/überwucherte/zugewachsene/stillgelegte Weinberge“!
Zu erwähnen ist natürlich auch, dass Hinterzeros Urururgroßvater seinerzeit in Meißen „Dömpreedscher“ gewesen war. Hättste ni mit gereschnet, was?
Wenn ich daran denke, wie die Altstadt in der Wendezeit ausgesehen hat, wird mir ganz blümerant. Noch ein paar Jahre DDR und sie wäre einfach so in sich zusammengefallen…
Off topic: Heute mal wieder Neanderlandsteig-Werbung gemacht. Mit Freunden Gruiten-Neviges (1. Etappe leicht gekürzt). Aprather Mühle, Gelächter über die Quelle mit Düsseldorfern, leider kein Stop am Minigolfplatz, war aber trotzdem herrlich. Und konnte zwei eigentlich nicht-Wanderer ein wenig anfixen. Pastorales Erbe, siehe oben (Domprediger).