Als Wanderer kennt und schätzt man die hohe Qualität der Traumschleifen. Diese Qualität ist aber nicht ohne harte Arbeit zu haben. Wer denkt, man müsste für so einen Premiumweg nur ein paar bunte Schildchen an die Bäume nageln, der irrt. Gewaltig. Denn selbst in Boppard, in einer Gemeinde, die ordentlich von der landschaftlichen Muse geküsst wurde, ist die Kreation einer Traumschleife kein Kinderspiel.
Boppard hat bislang sechs Traumschleifen, am 20. September wird eine siebte eröffnet, die Traumschleife Marienberg. Der Clou ist: Ich durfte bei einer Arbeitswanderung einige Monate vor der Eröffnung des Premiumwegs teilnehmen. So erhalte ich Einblick in die Arbeit im Maschinenraum einer Traumschleife, dies ist also quasi ein Making-Of-Report. Bei der Arbeitswanderung dabei sind der BBB (Bopparder Bürgermeister Bersch), Ortsvorsteher Strömann, Verantwortliche vom Bauhof, einige Premiumweg-Experten und der Revierförster Ralf Kerber. Wir starten im Park des ehemaligen Klosters Marienberg. Kleiner Insider-Tipp: Wer ungefähr 20 Millionen Euro übrig hat, darf das Kloster erwerben und renovieren, das ist eine Top-Immobilie! Dann wandern wir das Bruder-Michels-Tal hinauf. Förster Kerber betätigt sich immer wieder als Graffiti-Künstler, allerdings fallen seine Sprüh-Aktionen sehr monochrom aus.

Immerzu sprüht Kerber orange Graffitis: Pfeile, Buchstaben, ein „A“. Das „A“ steht nicht für „Anarchie“, ganz im Gegenteil, es soll ja ordentlich zugehen auf der neuen, 10,4 Kilometer langen Traumschleife. Das „A“ steht vielmehr für eine „Aussicht“. Denn ein dichter Wald ist ja schön und gut, aber manchmal müssen auch mal ein paar Bäume weg genommen werden, um Blickachsen Richtung Rhein zu eröffnen. An dieser Stelle möchte ich mal mit dem Missverständnis aufräumen, der Wald in Deutschland würde immer mehr verschwinden. Das Gegenteil ist der Fall: Noch nie in den letzten 1.200 Jahren gab es mehr Waldflächen als aktuell. Und aus dem Holz der Bäume kann man ja vielleicht eine ganz schicke Bank schnitzen. Bänke, das ist immer wieder das Stichwort für den BBB. Mike, der Bauhof – Vorarbeiter mit dem Klemmbrett, kommt kaum hinterher, die ganzen Standorte zu notieren, die sich der BBB wünscht. Auf dem folgenden Fotodokument hält der oberste Banken-Berater von Boppard, Bürgermeister Bersch, wieder Ausschau nach einem geeigneten Plätzchen für ein weiteres Ruhemöbel …

Man kann auf dem Foto auch schön sehen, wie die Vorarbeiten des Bauhofs ausgesehen haben: Mit Hacke, Schaufel und Muskelkraft ist ein neuer Pfad entstanden, der wunderschön am Hang entlang führt. Man sieht allerdings auch, was noch zu tun ist: Die neuen Treppenstufen sind zusätzlich mit Holzlatten abzusichern, damit die Stufen stabiler sind. Das Verrückte ist: Schon nach wenigen Monaten, wenn der Weg durch viele Wanderer genutzt wurde, wird dieser neu angelegte Pfad aussehen wie ein jahrzehntealter Trampelpfad.
Dann haben wir es aus dem Mittelbachtal hinauf geschafft bis zu einer Aussichtsplattform, und dort oben muss man gar keine Bank mehr installieren – da steht schon eine.

Die Bank trägt eine Nummer: 174. Das ist die Bank Nummer 174 des VVV Boppard (VVV ist die Abkürzung für Vitaler Verschönerungs Verein). Der VVV hat alle 689 Bänke in der Gemeinde Boppard durchnummeriert, in Kataster verzeichnet, und – was das Wichtigste ist – geklont. Das heißt: In einer riesigen Lagerhalle in Boppard stehen alle 689 Bänke identisch noch einmal, und wenn eine Bank im Wald wegen Altersschwäche oder Vandalismus schwächelt, wird sie ruckizucki ausgetauscht. Großartiges Prinzip! Wenn man genau hinschaut, sieht man auch die dunstige Aussicht auf Boppard und die kleine weiße Kirche mit den Doppeltürmen, St. Severus.

Eben diese Bopparder Kirche St.Severus wird am 19. Juli 2015 offiziell zur Basilika „erhoben“, wie das der katholische Amtsschimmel nennt. Warum St.Severus zu dieser Ehre kommt, weiß selbst Bürgermeister Bersch nicht so genau. Aber er hat eine Theorie, und die geht so: Rückblende – wir schreiben das Jahr 1985, ein nicht mehr ganz so junger Priester aus Argentinien verbringt zwei Monate im schönen Boppard am Rhein und erlernt dort die deutsche Sprache am Goethe-Institut. Der argentinische Priester wohnt zur Untermiete bei Familie Schmidt. Fremdsprachenkenntnisse kann man immer gebrauchen, vor allem wenn man Herr Bergoglio heißt und fast dreißig Jahre später Papst wird. Nun, so die Theorie von Walter Bersch, kann es nicht mehr lange dauern, bis der Papst höchstpersönlich die Bopparder Stadtkirche zum Dom macht.
Ein fast ein biblisches Wunder habe ich oberhalb des Bopparder Ortsteils Buchenau fotografiert:

Dort vereinigen sich in fast schon unzüchtiger Manier eine Eiche und eine Buche. Da hat sich die Eiche den Merksatz „Buchen sollst Du suchen“ zu Herzen genommen. Es ist nur so: die Buche konnte nicht schnell genug weg, denn die wusste ja auch: „Eichen sollst Du weichen…“ Fanatische Bopparder interpretieren diese Naturwunder ganz anders: Die stolze Eiche, das sei Boppard, und die Buche symbolisiere Bad Salzig. Beide Orte sind ja nun in der Gemeinde Boppard vereinigt, aber mental noch nicht so zusammen gewachsen wie diese beiden Bäume.
Wir wandern Richtung Rhein, erreichen das Hochplateau Eisenbolz. Weiter geht es arbeitswandernd oberhalb des Rheins Richtung Boppard zurück auf einem sensationellen, neu angelegten Pfad.
Wenige Kilometer, bevor wir wieder im Park des Klosters Marienberg ankommen, geht es schließlich in Hanglage an einer verfallenen Hütte vorbei. Dort hat sich der national bekannte Verbrecher Dieter Freese 1989 für einige Zeit versteckt gehalten. Es wird diskutiert, ob dieser für einen Wanderweg sehr schräge Ort mit einer Info-Tafel versehen wird oder nicht. Ergebnis bei Redaktionsschluss noch offen. Ich habe mich aber mit Bauhof-Vorarbeiter Mike vor der Hütte ablichten lassen, denn Mike ist der Neffe eines Polizisten, der den Ganoven mit Hilfe seines Schäferhundes geschnappt hat. Kriminalgeschichte pur an einer Traumschleife!

Jetzt fragt sich der geneigte Leser natürlich: Hat sich der feine Herr Andrack überhaupt auch nützlich gemacht bei dieser Arbeitswanderung oder hat er immer nur mit weit offenem Mund staunend daneben gestanden, wenn die großen Entscheidungen anstanden: Bank oder nicht Bank, Infotafel oder nicht, Aussichtspunkt oder Sinnenliege? Klar habe ich zum Erfolg der Traumschleife Marienberg beigetragen. Ich habe mich einfach mal hingesetzt, auf eine Schiefermauer.

Und da haben alle gerufen: Genial! Super!! Grandios!!! Da machen wir keine Bank hin und auch keine Sinnenliege, sondern wir nageln einfach einige Holzlatten auf den Schiefer, schon haben wir eine prima Bank mit Blick auf Vater Rhein. Eine „Andrack-Bank“, wenn ich das mal in aller Unbescheidenheit sagen darf. Viel Spaß auf der Traumschleife Marienberg mit all ihren Bänken und Aussichtspunkten!